Besprechungen – die Geisterbahn aus der es kein Entrinnen gibt
In unserer heutigen Wissensgesellschaft wird Kommunikation immer wichtiger und Besprechungen im 21. Jahrhundert können schnell und effektiv geplant, alle nötigen Dokumente im Vorfeld zur Verfügung gestellt und das Treffen notfalls auch virtuell über Kontinente und Zeitzonen hinweg durchgeführt werden. Da sollten die Probleme der Welt doch bald der Vergangenheit angehören, nicht wahr?
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Besprechungen sind oft ineffektiv und nur der Laufsteg der Eitelkeiten.
Neulich im Workshop wollte ich mal wieder zur Diskussion anstacheln und sagte: „ich habe gelesen, dass laut einer aktuellen Studie die Arbeitnehmenden in Deutschland bis zu zwei Drittel ihrer Arbeitszeit in Besprechungen verbringen und dass diese größtenteils als vollkommen nutzlos empfunden werden.“
Bevor ich enden konnte polterten daraufhin gleich mehrere der Anwesenden los, das dies ja wohl eine große Untertreibung sei und die tatsächliche Zahl ja wohl deutlich höher läge.
Es folgte eine Meckerrunde welche es in sich hatte und mir wurde bewusst, dass ich das alles nicht zum ersten Mal höre.
Kommt Ihnen das bekannt vor?
- Meetings werden inflationär durchgeführt, je mehr Meetings ich habe, desto wichtiger bin ich
- Meetings werden aneinandergereiht, es bleibt keine Zeit zum Durchatmen, Reflektieren, Nachbereiten, Handeln
- Besprechungen werden uns über eine Kalendereinladung zugestellt. Sie bringen unsere Planung und Priorisierung durcheinander, sind aber von „hoher Bedeutung“ und unsere Teilnahme „wichtig“.
- Die Art der Besprechung ist nicht klar definiert. Ist es ein Brainstorming, sollen Entscheidungen getroffen werden, ist es ein Strategiemeeting, ein jour fix, huddle, scrum oder was es sonst noch gibt?
- Es gibt keine Agenda und wenn es eine gibt, dann wird sich nicht daran gehalten.
- Die Zeiten werden überzogen, das Meeting dauert länger als geplant oder es können nicht alle geplanten Themen besprochen werden
- Unwichtige Themen werden unverhältnismäßig lange diskutiert, weil alle was dazu zu sagen haben (wir überlegen, den Kaffeeanbieter zu wechseln, was meint ihr?)
- Nach langem hin und her entscheidet der Chef oder die Chefin dann doch allein etwas anderes. Sie stehen ja auch in der Verantwortung wenn es schief geht, nicht wahr?
- Marketing stellt die neue Kampagne vor, Vertrieb findet die nicht gut, IT fragt warum sie nicht beteiligt wurden da die Umsetzung so nicht geht und die Buchhaltung will wissen, woher das Geld dafür kommt und wie es verbucht werden soll. Also wird die Entscheidung nochmal vertagt und Marketing soll erst nochmal die offenen Fragen klären
„We are going to continue having these meetings, every day, until I find out why no work is getting done.“ Richard Moran
Laut Statista verbrachten 2018 ein Viertel der Arbeitnehmenden bis zu 75% ihrer Arbeitszeit in Besprechungen. Knapp die Hälfte immerhin noch 26-50%. Bei Führungskräften steigt der Anteil auf bis zu 90%.
Ein Blick auf die momentane Situation
Es ist ein Fakt: Besprechungen sind ein wichtiger Bestandteil unseres Arbeitslebens und in jeder gesunden Organisation sollte es regelmäßige Besprechungen geben. Es gibt heute eher mehr Besprechungen als in der Vergangenheit.
„Schafft Meetings ab, behaltet die Plätzchen.“
Richard Moran
- Unsere Arbeitswelt ist heute viel weniger durch Produktion bestimmt. Wir entwickeln uns zur Wissensgesellschaft und das führt zu mehr Kommunikation und damit zu mehr Meetings
- Die organisatorische Komplexität in Unternehmen hat zugenommen. Matrix Positionen, Scrum Master, Projektgruppen, flache Hierarchien, digitale Transformation sind alles Dinge, die vor nicht langer Zeit selten waren, aber heute nicht mehr
- Corona hat Firmen gezeigt, dass dezentralisiertes Arbeiten geht, aber wahrscheinlich auch zu mehr Meetings geführt. Eine kurze Videoschalte ist schnell gemacht und wird vielleicht auch als notwendig angesehen, gerade wenn wir uns nicht mehr an der Kaffeemaschine begegnen und der Flurfunk wegfällt
- Meetings werden wichtiger, wenn z.B. Prozesse geändert oder auf Krisen reagiert wird. Eine solche war Corona auf jeden Fall und hat wahrscheinlich den Wunsch nach Austausch verstärkt.
An sich sind Besprechungen auch nichts Schlechtes und sogar notwendig, um Unternehmensziele zu erreichen.
Die Herausforderung liegt in der Qualität der Besprechung und dem was dabei herauskommt.
Laut der Umfrage „state of meetings“, welche jährlich von doodle durchgeführt wird, geben Firmen in Deutschland ca. 64. Milliarden Euro für Besprechungen aus (Gehälter, Verköstigung, Reisekosten, etc.) Wenn ich sowie Geld hätte um es für Meetings auszugeben, dann möchte ich auch dass etwas sinnvolles dabei herauskommt!
Wie laufen Besprechungen in der Realität ab?
- Firmeninterne Politik, Macht- und Kompetenzgerangel spielen mindestens eine ebenso große Rolle, wie das eigentliche Thema der Besprechung
- Oft versuchen wir, Besprechungen zu nutzen um Entscheidungen abzusichern und die Verantwortung zu verteilen, damit wir im Zweifel nicht allein in der Verantwortung stehen
- Gerne nutzen wir sie auch zur Selbstdarstellung, um Stärke und Ideen zu zeigen und manchmal auch um Machtproben zu „gewinnen“.
- Wir haben Angst vergessen zu werden. Alle vergessen mich und meinen Beitrag, darum gehe ich zur Besprechung
- Unsere Anwesenheit bei Besprechungen wird auch gerne mit Produktivität gleichgesetzt. Wer nicht dabei ist, tut nichts
- Gerne nutzen wir Besprechungen auch als „Schaulaufen“. Auf die Bedürfnisse der Anwesenden achten wir dabei nicht, es geht uns um die Selbstdarstellung
- Wir verschwenden viel Zeit mit eher unwichtigen Themen, dann hier fühlen wir uns sicher
- Eine klare Struktur haben wir nicht, den zeitlichen Rahmen halten wir nicht ein und auch ein klares Ergebnis fehlt
- Ziele und Zweck der Besprechung sind niemandem klar
- Abhängig von der Art des Meetings stellt sich auch die Frage wer dabei sein muss. Sind es die Personen, die zum Gelingen beitragen oder diejenigen, welche Kraft Ihrer Position dabei sein „müssen“ oder wollen?
Schnell werden Besprechungen also ineffektiv und zu einer Verschwendung von Zeit und Geld. Das führt zu großer Frustration, gerade wenn Mitarbeitende einen guten Teil Ihrer Zeit mit ihnen verbringen. Studien zeigen, dass die Frustration sich sowohl bei Führungskräften als auch bei den Angestellten gleichermaßen einstellt.
Prüfen Sie, wieviel Zeit Sie mit Meetings verbringen. Sind es mehr als 25% Ihrer Arbeitswoche, dann sollten Sie sich über Sinn, Zweck und Mehrwert Gedanken machen
Wie sollten Besprechungen ablaufen?
Es gibt viele Abhandlungen zum Thema und Führungskräfte scheitern, wie so oft, nicht am Verständnis für das Thema sondern an der Umsetzung.
Patrick Lencioni beschreibt in seinem Buch „Tod durch Meeting“ recht anschaulich, wie diese oft ablaufen und wie sie ablaufen könnten.
In dem wundervollen Film „Meetings, bloody Meetings“ wird John Cleese jede Nacht in seinen Träumen vor Gericht gestellt, ob seiner fürchterlichen Besprechungen.
Kenneth Blanchard und Sheldon Bowles geben ebenfalls in vielen Ihrer Abhandlungen gute und relevante Hinweise für erfolgreiche Besprechungen.
The mark of a great meeting is not how short it is or whether it ends on time. The key is whether it ends with clarity and commitment from participants.” – Patrick Lencioni
In der Theorie haben wir also alles, um gute, effiziente Meetings abzuhalten.
Ist das Abschaffen von Besprechungen die Lösung?
„Shopify schafft Meetings ab!“ (SZ vom 17.1.23)
„Messaging App “Rock” schafft alle regulären Meetings ab“ (Handelsblatt vom 25.3.22)
„SAP schafft Meetings am Freitag ab“ (CIO vom 5.5.22)
„Die zwei Pizza Methode von Jeff Bezos: wenn mehr Menschen anwesend sind, als von zwei Pizzen satt werden können, dann sind zu viele Menschen im Meeting.“
Eine kurze Internetrecherche zeigt, dass das Thema Meetings offenbar in vielen Firmen eine Rolle spielt und und die “Flut” an Meetings und deren Teilnehmerzahl medienwirksam eingedämmt wird.
Die Lösung suchen wir wieder einmal in der operative, indem wir bessere Besprechungen anweisen.
Dabei geht es nicht um die Zahl der Meetings oder darum , wie viele Menschen anwesend sind, sondern um die Führungskultur, in welcher wir sie abhalten und die ändert sich nicht durch Anweisungen von ganz Oben!
„You should never go to a meeting or make a telephone call without a clear idea of what you want to achieve“ – Steve Jobs
Der Weg aus der Geisterbahn – Mut zur guten Besprechung!
Die Frage ist also, ob Führungskräfte sich darüber klar sind, wie die Kultur im Unternehmen rund um Besprechungen ist, ob sie dieser Zustimmen und wenn nicht, ob sie den Mut und die Vision aufbringen, um an einer Kulturänderung zu arbeiten. Viele Aspekte können wir in Betracht ziehen
- Diskussionsforum oder Meckerrunde (letzteres kann auch mal nötig sein)?
- Was ist das Ziel der Besprechung?
- Ist es ein Austausch von Infos oder ein Brainstorming?
- Sind alle da, die benötigt werden oder noch viele andere die gar nicht da sein müssten? Wie steuern wir das?
- Ist es in Ordnung, meine Teilnahme an Besprechungen abzusagen wenn andere Themen als wichtiger empfunden werden?
- Stimmen wir irgendwann alle der Mehrheitsmeinung zu, weil wir des Diskutierens müde sind, oder gibt es die Funktion des “10. Mannes”, welcher die Aufgabe hat, die Mehrheitsmeinung zu hinterfragen?
- Haben wir Protokolle, klare Aufgabenzuweisungen, Wissen hinterher alle was zu tun ist
- Trauen wir uns, offen unsere Meinung zu sagen?
Wir kennen also die Thematik und wir haben viele gute Ideen, wie meetings besser werden können.
Was wir aber brauchen ist eine Führungskultur, die das auch zulässt und hier brauchen Führungskräfte den Mut, sich selbst zu guten Besprechungsgastgebern zu entwickeln und aus althergebrachten Denkweisen auszubrechen, das muss Teil von Führung im 21. Jahrhundert sein.
Sie entscheiden über die Qualität der Besprechungen zu denen Sie gehen. Sind Sie bereit diese Verantwortung auf sich zu nehmen?
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei!
Kontakt
Bildnachweis: Fotos von CANVA, Statistik von Statista
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